Mirko Tobias Schäfer / Assistant Professor
University of Utrecht Department for Media and Culture Studies
Nerd: an unstylish, unattractive, or socially inept person; especially: one slavishly devoted to intellectual or academic pursuits <computer nerds>
- nerd·ish /'ner-dish/ adjective
- nerdy /-dE/ adjective
(Merriam Webster's Collegiate Dictionary)"Die Gegenwart ist das aktuelle Bild, und seine zeitgleiche Vergangenheit ist das virtuelle Bild, das Spiegelbild." Gilles Deleuze, Das Zeit-Bild
Das 80er Jahre Revival ist in vollem Gange. Und außerhalb des entzifferbaren Bereichs der Modeindustrie dringt leise Nostalgie durch unsere Aufmerksamkeitsfilter. Retro, Sentimentalität, die gute alte Zeit. Wieder einmal die Computer von damals rausholen und nachsehen, ob die alten Disketten noch funktionieren. Auf www.classicgaming.com einen Emulator runterladen und schauen, ob der eine oder andere Klassiker immer noch Spaß macht.
Die Möglichkeiten, Kondensatornostalgie zu betreiben, sind breit gestreut. Hinter all dem scheint auf den zweiten Blick aber mehr zu stehen als einfach nur Erinnerung an die eigene Jugend. Die Freaks von damals sind heute erwachsen. Viele von ihnen sind in der Computerbranche geblieben, manche machen etwas ganz Anderes. Zwischen die Erinnerungsbruchstücke scheint sich ein Gefühl zu drängen, das nach mehr verlangt als Sammlungen von Anekdoten. Die Subkultur einer Epoche - der des Heimcomputers - will sich endlich Geschichte geben; man will wissen, was geblieben ist.
Als 1982 die Firma Commodore ihren C64 auf den Markt bringt, sind Videospiele keine Unbekannten mehr. Atari hatte mit seinem VCS die amerikanischen und europäischen Wohnzimmer im Flug erobert und damit den Mikroprozessor als Freizeitmaschine etabliert. Man wusste, was man sich unter einem Homecomputer so vorzustellen hat. Dass man mit einer Maschine wie dem C64 aber viel mehr machen kann, als nur zu spielen, ließ sich schnell kommunizieren; und weil programmieren nun mal keine gemeinschaftliche Tätigkeit ist, musste der Homecomputer vom Wohnzimmer ins Jugendzimmer übersiedeln.
Von der elterlichen Supervision befreit, entsteht sehr schnell eine Subkultur, die ebenfalls sehr schnell von außen als solche wahrgenommen wird. Filme wie Wargames (1983) stellen früh dar, was man sich unter einem Computerfreak, einem Nerd, vorzustellen hat: intelligent aber einsam lebt der Held David (der dann Goliath in Form eines militärischen Supercomputers in die Knie zwingt) in einer Welt, die vom Computer bestimmt wird. Unverstanden von Eltern und Mitschülern ist er ein Meister seines Fachs. Er versteht die Maschine.
Das Bild des blassen - männlichen - Jugendlichen, der sich im Programmcode seines Rechners versenkt, ist zum Ikon geworden. Und die 80er stehen im Zeichen der Institutionalisierung des Nerds in seiner eigenen Subkultur. Man vernetzt sich, tauscht Spiele und Programme, schreibt Code um von der Community - die nach Fähigkeiten hierarchisiert ist - respektiert zu werden. Einiges an Jargon und sozialer Struktur dieser Subkultur dringt immer wieder nach außen, wird von den Maschinen der Kulturindustrie aufgegriffen und in eine breitere Öffentlichkeit zurückgespiegelt. Die Legende schreibt sich fort.
Scheinbar einfach erreicht die Homecomputer-Subkultur eine symbolische Dichte, die von verschiedenen Seiten genährt und verstärkt wird. Computer werden zwar schon länger als machtvolle kybernetische Apparate wahrgenommen, dass sich aber aus Addition und Subtraktion virtuelle Welten generieren lassen, fasziniert auch heute noch. Das Wissen der Nerds ist also klassisches Geheimwissen, der Verdacht, den man der Blackbox Computer entgegen bringt, seine Basis. Das symbolische Kapital stammt also aus dem Verborgenen, daher sein Wert, seine Verwendbarkeit in der Popkultur, die immer auf der Suche nach scheinbarer Tiefe ist.
Die Differenz zwischen dem Besitzer des esoterischen Wissens und denen, die davon ausgeschlossen bleiben müssen, produziert auch im Fall des Computerfreaks und seiner unerleuchteten Umwelt kulturelle Unterscheidbarkeit, also Sinn. Was heute klar scheint, wird hier vorbereitet: Kein Weg führt mehr am Computer vorbei, die Maschine übernimmt in fast allen Lebensbereichen wesentliche Funktionen. Das erforderliche Spezialwissen zu Herstellung, Programmierung und Bedienung dieser Geräte und Programme produziert eine Vielzahl von Wissensklüften und Wissensgemeinschaften, sodass um den Rechner soziale Differenz entsteht. Die heutige Komplexität der gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen rund um den Computer gestattet den einstigen Überblick über die Materie nicht mehr, sondern nur mehr Einblicke in verschiedene Bereiche davon. Die gesellschaftliche Trennung in Wissende und Nichtwissende läuft immer weniger an der Linie zwischen digital und analog, sondern innerhalb des Digitalen selbst. Das Expertenwissen und die damit verbundene Hierarchisierung innerhalb möglicher Subkulturen muss sich in einzelne Bereiche der Computerkultur zurückziehen, sich spezialisieren und präzisieren.
Der Technikvermittler übernimmt mit steigender Diversifizierung die Aufgabe, den Informationsfluss von Wissen zu Wissenskluft oder von Wissen zu Wissen zu lenken. Die scheinbare Egalisierung oder Neuorientierung des Geheimwissens der Computernerds (z. B. in das Ausreizen der Computerhardware, Overclocking) bricht auch die sozialen Strukturen jener Subkulturen auf und schafft Platz für neue. Die einstige Exklusivität kann nicht mehr direkt reklamiert werden, sie muss sich neu legitimieren. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass die gelebte und nun glorifizierte Vergangenheit direkt mit dem Erfolg in der Gegenwart verbunden ist. Der Rückzug ins Kinderzimmer in den 80er Jahren lässt sich nun in der Gegenwart als Triumphzug lesen. Als Erfolgsstory lässt sich die "Rache der Nerds" (John Katz) in die Popkultur integrieren. Dabei ist bemerkenswert, dass nicht der Nerd sein Heiligtum verlässt, sondern sein Wissen in gesellschaftliche Anerkennung übersetzt wird; die Akzeptanz der diversen Eigenheiten seiner Subkultur wird vorbereitet. In Wargames erfüllt sich Davids Liebesglück eben nicht durch seine Anpassung an die Welt der anderen; das Objekt der Begierde - die sportliche Jennifer - wird über den Computer, und nicht an ihm vorbei, erobert. Die symbolische Ordnung belohnt den Nerd mit der Erfüllung seiner romantischen Teenagerphantasie. Der Computer verliert dabei langsam seinen Charakter als asoziale Maschine.
In den 80er Jahren entsteht damit - über Umwege und Rekodierungen - das Bild des Rechners als Maschine, die Spaß macht, als sexy Lifestyle-Objekt, als positives Statussymbol; damit wird ein wichtiger Grundstein für den Erfolg des Massenartikels Computer gelegt.
Während die Hacker an den amerikanischen Universitäten der 60er und 70er mathematischen und informatischen Problemen nachgehen, arbeiten die Nerds mit Sound und Graphik, tummeln sich in bunten Spielewelten und lassen die Nullen und Einsen hinter der Oberfläche des Bildschirms verschwinden.
Als der MS-DOS PC Anfang der 90er den Homecomputer zu verdrängen beginnt, stützt er sich im Bereich des Heimanwenders auf die dort entstandenen Strategien und Codes, schreibt sie weiter und lässt sie schließlich in der Internetkultur aufgehen.
Was von der Nerdculture der 80er bleibt, ist also nicht nur das wohlige Gefühl derer, die sich noch erinnern, sondern das Bild einer Zeit, in der vieles von dem, was heute die soziale Maschine Computer prägt, überhaupt erst entstanden ist; die Komplexität dieses Phänomens erschwert die Auseinandersetzung, und der Drang nach Glorifizierung/Verteufelung verdeckt die kulturelle Produktivität einer Periode, in der sich Mikroprozessoren vom Numbercruncher zur Reality Engine entwickelten. Ihre Geschichte bleibt zu schreiben.
Date June 2004 Category Publications
with Bernhard Rieder, in Sinn Haft Nr. 10/ Mai 2001
This article describes the 80's roots of the new economy and how the whiz kids are now starting to write their own history. We wrote this article while preparing the [d]vision 2001 festival electronic kindergarten which celebrated the computer technology from the 80ies and reflected the subcultures of computer users.
Read the english translation or the german article at Sinn-Haft