Mirko Tobias Schäfer / Assistant Professor
University of Utrecht Department for Media and Culture Studies
Seit den 80er-Jahren lernen wir Industrieprodukte zu verändern, und sei es nur insofern, dass ein Kopierschutz oder Ländercode entfernt wird. Es bleibt aber oft nicht beim Cracken von lästigen Nutzungsbeschränkungen, sondern entwickelt sich zur veritablen Produktion kultureller Güter.
Während wir einerseits in einem Zeitalter der öffentlichen Inszenierung leben, findet gleichzeitig ein Rückzug in die privaten Räume statt. Hier frönt der technisch versierte Zeitgenosse seiner Selbstverwirklichung in der Gestaltung von Videotagebüchern, Filmen oder Musik. Oftmals ist das kein solipsistisches Vergnügen, sondern eine kollektiv betriebene Tätigkeit, die in lose zusammengewürfelten Gruppen stattfindet. Und selbst wer alleine zu Hause arbeitet, bewegt sich doch meist in einem sozialen Netzwerk Gleichgesinnter. Neben der Zweckentfremdung der firmeneigenen Infrastruktur für das längst groß gewordene Hobby läßt sich auch eine veränderte Bedeutung der privaten Wohnung feststellen. Das Wohnzimmer ist Studio, Werkstatt, Büro oder pseudoprivater Treffpunkt unterschiedlich großer Personengruppen. Dementsprechend ist die Wohnung heute auch technisch ausgestattet. Dem kulturellen und gesellschaftspolitischen Potential dieser Räume stehen Unternehmen wie Politik hilflos gegenüber, wenn es in die Öffentlichkeit tritt. Längst sind es nämlich nicht mehr nur die Produkte der Unternehmen, die von Usern nach ihren Vorstellungen modifiziert werden. Inzwischen bieten die neuen Sofa-Kulturfabrikanten auch ernstzunehmende Alternativen an. Von Software, Musik oder Film bis hin zu Information und Foren des politischen Diskurses finden sich abseits der offiziellen Produktion immer mehr brauchbare Angebote. Im postmodernen Imperium globaler Netzwerke verändern sich so auch die Machtstrukturen. Die Verteilung und Kontrolle von Wissen wird zunehmend demokratisiert und zu einem beträchtlichen Teil in den offenen Gemeinschaften der Peer-Groups und User-Netzwerken organisiert. Dadurch stehen sich in den Bereichen der Politik und der Ökonomie unterschiedliche Machtblöcke gegenüber. Die Politik begegnet den NGOs, Überwachung stößt auf Gegenüberwachung, proprietäre Software auf Open Source und Hochkultur auf Amateurkultur.
Auf der einen Seite erfassen intelligente Systeme die Kommunikation in pseudoprivaten Räumen, um Userprofile zu erstellen, Marktanalysen zu unterstützen und Informationen aus vernetzten Datenbanken in einer Rasterfahndung auszuwerten. Auf der anderen Seite ermöglichen die gleichen Technologien die Produktion temporärer autonomer Zonen. Die Vernetzung politisch motivierter Initiativen, die Formulierung von Kritik und die Generierung von Aufmerksamkeit verfügt gegenwärtig über nie dagewesene Möglichkeiten. In New York bietet beispielsweise das "Institute for Applied Autonomy" mit einer Suchmaschine die Möglichkeit, einen Weg durch die Stadt von Punkt A nach Punkt B zu finden, der von möglichst wenigen der 2.400 bekannten Überwachungskameras eingesehen wird. Die Countersurrveilance findet auch hierzulande Nachahmer. In Bremen erstellt das Projekt "Aktuelle Kamera" eine Topographie der Überwachungsgeräte im öffentlichen Raum.
Netzwerke wie das "Video Activist Network" arbeiten unterdessen ganz in der Tradition der Gegenöffentlichkeit. Hier wird Theorie und Praxis für die journalistische Guerillia Arbeit vermittelt. Die Filmemacher profilieren sich mit kritischen Reportagen über Polizeieinsätze, Machtmissbrauch und soziale Mißstände. Der Film "Boom - The Sound of Eviction" klärt über eine Schattenseite des New Economy Höhenfluges in San Francisco auf, wo Hunderte aufgrund der steigenden Mietpreise ihre Wohnungen verloren. Boom zeigt den Kampf der Verlierer in einer Stadt der Sieger. Der Film begleitet die betroffenen Menschen und zeigt, wie sie sich selbst organisieren und Methoden der Selbsthilfe entwickeln. Es ist kein Wunder, dass die zeitgenössische Technologie Brecht`s "Jeder-Empfänger-ist-ein-Sender"-Radiotheorie wieder populär macht. Die Technik scheint so einfach bedienbar zu sein, dass Enthusiasten schon in jedem User einen Produzenten sehen. Während einerseits der Rückzug in private Räume, in Communities und Netzwerke stattfindet, wird ein kultureller und gesellschaftskritischer Output produziert, der sich in der Öffentlichkeit als Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte niederschlägt. Dem Machtblock der dominanten Öffentlichkeit stehen technologisch versierte, vernetzte und überaus produktive Personengruppen gegenüber. Diese Netzwerke stellen eine Herausforderung an den althergebrachten Prozess des gesellschaftlichen Diskurses, die kulturelle Wertschöpfung und die politische Debatte dar.
Date June 2004 Category Publications
Kulturindustrie als Hausarbeit, in De-Bug, Nr. 65, Nov. 2002
A first draft of my thoughts on the impact of the production output of users on the cultural industries. This article is one of three articles [d]vision members were publishing in De-Bug while preparing the [d]vision 2002 festival digitalBIEDERMEIER. read the article at De-Bug and Bernhard Rieder: Zu Hause im Netz, Peter Steinberger: Biedermeier re/vived