Mirko Tobias Schäfer / Assistant Professor
University of Utrecht Department for Media and Culture Studies
Der Einsatz von Medientechnik als ›taktische Medien‹ (Lovink 2003) wird im Kunstdiskurs häufig als subversive Strategie bezeichnet (Arns 2004). Subversion wird hier gleichgesetzt mit analytischer Dekonstruktion und der Konstruktion alternativer Produktions- und Distributionskanäle, also einer praktischen Unterhöhlung der bestehenden Markt- und Verteilungsverhältnisse. Das Subversive wird bei Arns der jungen Medienkunst der 1960er und 1970er Jahre zugeschrieben, wie auch den Netzkünstlern der 1990er Jahre, die wieder in neuen Technologien taktische Medien entdecken. Das Subversive kann hier auf zwei Ebenen lokalisiert werden: einerseits im Kunstwerk selbst, das aufgrund des Einsatzes von Technik und ästhetischen Codes das bestehende Verständnis von Kunst umdrehen kann und Kritik am herkömmlichen Kunstbegriff und dem gesellschaftspolitischen Status Quo formulieren kann; andererseits in der Zuschreibung des Subversiven, also in der Rezeption und der retrospektiven Beurteilung und Bewertung des Kunstwerks. Subversion wird also nicht nur durch die Anwendung bestimmter Strategien definiert, sondern auch durch Zuschreibung. Dadurch entsteht noch kein Kanon des Subversiven, aber dennoch Konnotationen, die das Begriffsverständnis maßgeblich prägen. Die neuen ästhetischen Codes und die Strategien ihrer Konstruktion und Präsentation werden affektiv diesem Subversionsbegriff zugeordnet. Sie formen eine kulturelle Grammatik, einen Zeichenvorrat, der das Bild vom Subversiven prägt.
Subversion erweist sich oft mehr als Zuschreibung denn als Effekt. Seine diskursive Verortung in der politischen Linken und innerhalb künstlerischen Avantgarden lenkt von der Ambivalenz [1] seiner Strategien ab, die auch effizient vom Establishment angewandt werden. Daraus ließe sich schließen, dass das Subversive lediglich eine Kommunikationsstrategie ist, die verwendet wird, um bestimmte Botschaften zu transportieren. Diese Botschaften sind dann letztlich variabel und können von allen gesendet werden. Die Aufmerksamkeit, die den jeweiligen Botschaften zukommt, hängt dann von ihrer geschickten Platzierung in den Medien ab. Der Begriff des Subversiven selbst muss daher sowohl aus der Perspektive der Medienkunst und der Gesellschaftskritik als auch der Medienwissenschaft kritisch hinterfragt werden. [2]
Computer und Internet erhielten aufgrund ihres hohen Partizipationspotenzials schnell den Status taktischer Medien mit subversiver Wirkung. Die neuen Technologien schienen die Möglichkeiten für künstlerische Produktion und gesellschaftliche Kritik zu vervielfältigen. Subversives Potenzial und gesellschaftskritische Inhalte attestieren zahlreiche Publikationen der medialen Praxis in der Medienkunst und dem Netzaktivismus (Dery 1993; Lasn 2000; Meikle 2002; Lubbers 2002). Die kulturelle Grammatik, d.h. die Bilder und die mediale Praxis, die affektiv als subversiv beschrieben wird, erhält in diesen Texten eine kulturtheoretische Konnotation, indem die Praktiken der ›Kommunikationsguerilla‹, des ›Culture Jammings‹, des ›Netzaktivismus‹ oder des ›Media-Hackings‹ in einen logischen Zusammenhang mit den kulturkritischen Texten von Adorno und Horkheimer, über Roland Barthes, Umberto Eco bis zu Michel de Certeau gesetzt werden.
Gesellschaftskritik als Medienkritik zu betreiben ist bereits den scharfen Analysen Walter Benjamins zu verdanken. Adorno und Horkheimer (1947) attackierten – wie übrigens auch Marshall McLuhan (1951) – die Medienproduzenten der USA und beschuldigten sie der Korruption und Manipulation. Roland Barthes fragte hingegen in seinem vielzitierten Ausspruch »Ist es nicht besser die Zeichen zu entstellen anstatt sie zu zerstören« und hat damit Aktivisten inspiriert Medienkritik mit Medienarbeit zu verbinden. Die intellektuelle Dekonstruktion findet inzwischen in der kreativen Gestaltung von Medieninhalten statt und die von Umberto Eco angedachte semiotische Guerilla (Eco 1967) formiert sich konsequent als Kommunikationsguerilla (Blisset/Bünzels 1997).
Mit den neuen Technologien (Computer und Internet) wird der etablierten Kulturindustrie die Produktion der User entgegengesetzt. Das Handbuch der Kommunikationsguerilla (Blisset/Bünzels 1997) fasst Taktiken zur Dekonstruktion der kulturellen Hegemonie zusammen und zeigt die Möglichkeiten der kulturkritischen Medienarbeit an zahlreichen Beispielen auf. [3]
Als ›Hacktivismus‹, ›digitaler Aktionismus‹, ›Media Hacking‹ oder ›Culture Jamming‹ versprechen diese medialen Praktiken ein subversives Potenzial gegenüber Unternehmen und Regierungen. Zahlreiche Beispiele der Netzkunst und des Netzaktivismus wurden für ihre angebliche Subversivität und den angeblich verursachten Schaden angeklagt, vom Publikum gelobt, mit Preisen ausgezeichnet und in den Medien repräsentiert. Das symbolische Kapital von Kunst und Aktivismus sowie das von Technologien verändert sich durch die Konnotation des Subversiven. Die traditionell technik- und medienskeptische Kulturkritik scheint das Subversive zur Legitimation der eigenen Medienpraxis zu verwenden. Das Internet ist dabei zentrales Medium der politischen Artikulation und der Agitationsraum der selbsternannten Kommunikationsguerilla.
Computertechnologie und Internet haben die Asymmetrien im Zugang zu Medientechnik und Repräsentationskanälen scheinbar relativiert. Das Internet bot erstmals weltweite Distribution zu vernachlässigbaren Kosten, es war Radio, Fernsehen und Druckpresse in einem. »The Web’s low barriers to entry ensure greater access than ever before to innovative, even revolutionary ideas«, schreiben Jenkins und Thoburn (2004: 12). Der kulturkritische Aktivismus findet im Internet nicht nur die Plattform zur Präsentation von Kritik und der Vernetzung von Gleichgesinnten, sondern auch die Produktionsmittel, um selber Medieninhalte herstellen und vertreiben zu können. Die erfolgreichen und oft viel beachteten Aktionen von Medienkünstlern und Netzaktivisten tragen dazu bei, das Subversive weiterhin affektiv mit Hegemonie- und Kapitalismuskritik in Verbindung zu bringen.
Tatsächlich bietet die neue Technologie Möglichkeiten, deren experimentelle Konfigurationen als »Mythinformation« (Winner 1990) zu Legenden des digitalen Zeitalters werden. Dabei verschwindet die Grenze zwischen politischem Aktivismus und Netzkunst. Enthusiastisch werden Internet und Computer verwendet, um politisch Stellung zu beziehen, Unternehmen zu kritisieren, Webseiten zu manipulieren oder Falschinformationen zu verbreiten. Die Yes Men geben sich auf ihrer Website www.gatt.org als die Welthandelsorganisation aus und verkündeten in einer Pressemitteilung deren Auflösung. Auf www.dowethics.com übernehmen sie als Dow Chemicals die komplette Verantwortung für die Chemiekatastrophe im indischen Bophal, die durch das heute zu Dow Chemicals gehörendem Unternehmen Union Carbide verursacht wurde. Die Gruppe RTMark etablierte sich in den 1990er Jahren als Internetplattform, die Sponsoren für Projekte an Aktivisten vermittelte. [4] Unter anderem wurde so eine Aktion der Barbie Liberation Organisation finanziert, bei der Spielzeugpuppen der Firma Mattel manipuliert wurden. [5] Das Sprachmodul der Barbiepuppe wurde mit dem der GI Joe Puppe getauscht. Das Spielzeug sollte so für Genderverwirrung sorgen, denn die blonde Barbie sprach nun im aggressiven Kriegerslang während der martialische Soldat von Shopping und Haushalt schwärmte. Eine der aufsehenerregendsten Aktionen, die sich im Spannungsfeld zwischen Netzkunst und Netzaktivismus abspielte war der sogenannte Toywar der Schweizer Künstlergruppe etoy gegen das Nasdaq-notierte Unternehmen eToys.com.[6] Nachdem das Unternehmen von der Künstlergruppe gefordert hatte ihre Internet-Domain www.etoy.com abzutreten und diesbezüglich rechtliche Schritte unternahm, antworteten die Künstler mit einer Internetkampagne.[7]
Schwerfel bewertet die Kampagne als Versuch die Möglichkeiten der Kommunikation im Internet auszuloten, und zwar in der Form der »Randale«: »Weltweit stellen sich Hacker, Künstler und solidarisch fühlende User hinter das Künstlerseptett von etoy und erklären den virtuellen ›toywar‹, den Spielzeugkrieg. Damit meinen sie ein interaktives Netzspiel, das vornehmlich darin besteht, Scheinattacken gegen die Aktie des bösen Spielzeug-Giganten eToys zu reiten. Dessen Kurs kippt innerhalb weniger Monate vom ursprünglichen Emissionswert achtzig auf unter zwanzig Dollar« (Schwerfel 2000: 133).
Reinhold Grether, der aktiv an der Organisation des Toywar beteiligt war, sieht in den Möglichkeiten des kollektiven Protests ein weitaus größeres Handlungspotenzial, das egalitär jedem Aktivisten Erfolg verspricht. Er lässt sich in seinem Artikel »How the etoy campaign was won« hinreißen: »Flow, wenn zehn bis zwanzig gleichzeitig kommunizierten und Wissen um den Globus jagten. Jeder kann es, Du auch. E-Mail-Finish mit elektronischen Steinschleudern! Hunderte von Toywar-Agenten nehmen das eToys-Management von Toywar aus unter Beschuss!! Bedingungslose Kapitulation!!!« (Grether 2000).
Benjamin wies bereits auf die Ambivalenz von Technik hin und forderte den Künstler auf, seine Produktionen so zu gestalten, dass dabei die Produktionsverhältnisse in Frage gestellt werden, und nicht etwa ein Produktionsapparat beliefert wird, ohne diesen zu verändern (Benjamin 2003: 240). Die Ästhetik und Praxis des Hacktivismus, des Culture Jamming und der Kommunikationsguerilla lassen sich aber erfolgreich in die Produktionsverhältnisse integrieren. Werden dagegen die hier als subversiv beschriebenen Praktiken nicht mehr in einem Bedeutungszusammenhang mit der Ästhetik künstlerischer Avantgarden oder den kreativen gesellschaftskritischen Produktionen einer ›Kommunikationsguerilla‹ definiert, lassen sich ihre kommunikativen Strategien und ihre tradierten Topoi auch in anderen Bereichen der Medienproduktion und Medienmanipulation nachweisen. Subversive Strategien scheinen in der Medienpraxis Teil einer kulturellen Grammatik zu sein, die sich erfolgreich in anderen Bereichen der Informations- und Mediengesellschaft anwenden lässt. Marketing und Public Relation sind die Bereiche, von denen subversive Strategien absorbiert und effizient im Interesse von Politik und Konzernen für ›Agenda Setting‹ und Lobby-Tätigkeiten verwertet werden. So definiert das Handbuch der Kommunikationsguerilla als Techniken der subversiven Mediengestaltung unter anderem den Fake, die Überidentifikation, die Camouflage, die Collage oder die Affirmation (Blissett/Bünzels 1997). Eben diese als subversiv bezeichneten Strategien lassen sich in den Bereichen Kunst, Politik und Wirtschaft zur Kommunikation von Themen feststellen. Diese Bereiche sind in die gesellschaftliche Meinungsbildung und die Produktion von Medienwirklichkeit eingebunden und sind abhängig von ›Aufmerksamkeit‹ als zentralem Faktor in der Logik ihrer Märkte (Franck 1998).
Im Hinblick auf Subversion ist diese Aufmerksamkeit ein Problem, denn sie wird zur Währung des Informationszeitalters. Subversive Strategien werden daher zunehmend verwendet, um Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema zu generieren. Jeder der Bereiche ist diversifiziert in zahlreiche Teilöffentlichkeiten, Netzwerke, Gruppen und Gemeinschaften, deren Kommunikation oftmals ausschließlich als Binnenkommunikation stattfindet. Auch die subversiven Strategien bleiben meist innerhalb eines Bereiches oder werden nicht einmal als solche wahrgenommen. Obwohl ein beträchtlicher Teil der kommunikativen Prozesse als Binnenkommunikation innerhalb der jeweiligen Teilöffentlichkeiten und sozialen Netzwerke abläuft, erregen immer wieder Themen die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. Eine intendierte Subversion, die gezielt für eine bestimmte Teilöffentlichkeit konzipiert ist, kann als Provokation auch darüber hinaus Aufmerksamkeit erregen. Hier ließen sich Damien Hirsts Kuhhälften oder Jeff Koons Arbeiten mit der Pornodarstellerin Ilona Staller (Cicciolina) nennen, die auch außerhalb der kunstinteressierten Bevölkerung Aufmerksamkeit erregten, meistens in Form von Empörung, wodurch sie im Binnendiskurs des Kunstmarktes gleichzeitig massiv an Wert zunahmen. Auch die Strategien des Subversiven in Medienkunst und Netzaktivismus spielen mit der Provokation. Die Provokation kann als subversive Strategie gewertet werden um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Im Bereich der Werbung ist der Benetton Fotograf Oliviero Toscani zu nennen, der großes Aufsehen erregte, indem für seine Kampagnen Bildmaterial verwendete, das in Nachrichten oder Sozialreportagen gepasst hätte. Die Motive zeigen unter anderem ein überfülltes Flüchtlingsschiff, einen sterbenden Aidspatienten und die blutverschmierte Kleidung eines im jugoslawischen Bürgerkrieg Gefallenen. Toscani collagiert hier die Bildersprache der Nachrichten mit den Kauf-Botschaften der Werbung. Das subversive Potenzial Toscanis ist nicht die erregte Empörung über die Motive, sondern die Verbindung gesellschaftspolitischen Bewusstseins mit den Produkten einer Marke. Im Zeitalter der mechanischen Reproduzierbarkeit ist das Produkt die austauschbare Variable, während das symbolische Kapital und das Imago, die Illusion (oder Aura) des Unverwechselbaren konstruieren. Nach Toscani ist dies zum Allgemeinplatz geworden und in abgeschwächter Form bedienen sich zahlreiche Marken (z.B. Diesel) aus dem Zeichenreservoir gesellschaftspolitischer Debatten.
Im Bereich der Medienkunst probierte 2003 die italienische Künstlergruppe One Dot Zero (oder 0100101110101101.org) geschickt ihren Namen mit dem weltberühmten Logo des Sportartikelherstellers Nike zu verbinden.[8] Mit Techniken des Fake und der Überidentifikation wurde ein fiktives Konzept der Firma Nike präsentiert, den Wiener Karlsplatz in ›Nike-Platz‹ umzubenennen und mit einem riesigen Swoosh, dem Nike-Logo, als Denkmal zu markieren. Unterstützung erhielten die Künstler dabei von der Plattform Public Netbase, einem Wiener Verein, der sich in den 1990er Jahren kritisch für eine partizipative Informationsgesellschaft engagierte. Eva und Franco Mattes von One Dot Zero nutzten den Nike-Platz, um, gemäß ihrer Eigendefinition, »mit unkonventionellen Kommunikationstechniken und geringstem Aufwand die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen.« [9] Das Konzept wirkte innerhalb der relativ kleinen Teilöffentlichkeit für Medienkunst gut und belohnte die Künstler mit einer Zunahme an Repräsentation auf Festivals, in Galerien und am Kunstmarkt. Public Netbase hingegen versuchte mit der Aktion auf die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes hinzuweisen und inszenierte den Fake als subversives Agenda Setting. Es sei die Aufgabe der Institution Public Netbase, »das Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem Interesse und der Ökonomisierung aller Lebensbereiche zur Diskussion zu stellen und durch direkte Intervention in den urbanen und medialen Raum Handlungsfelder zu erweitern.« [10] Dieser Erwartung wurden aber weder die Medienberichte zur Aktion Nike-Platz gerecht, noch kam es zu einer gesellschaftlichen Debatte um die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes. Die direkte Intervention in den urbanen Raum war ein von One Dot Zero gestalteter und durch Public Netbase betriebener Info-Pavillion, der Passanten über das angebliche Nike-Platz-Projekt des Unternehmens Nike informieren sollte. Diese von One Dot Zero und Public Netbase verwendete Strategie wird auch schon von den Autoren und Autorinnen des Handbuchs der Kommunikationsguerilla beschrieben: »Die Erfindung falscher Tatsachen zur Schaffung wahrer Ereignisse ist eine Methode, die Mechanismen offenzulegen und zu kritisieren, die die hegemoniale Produktion medialer und politischer Bilder von Wirklichkeit bestimmen« (Blisset/Bünzels 1997: 58).
Die Irak-Kampagne der Public-Relations-Agentur Hill & Knowlton macht deutlich, wie die Erfindung falscher Tatsachen erfolgreich gewählte Volksvertreter manipulieren kann und tatsächlich zur Schaffung wahrer Ereignisse führt. Im Auftrag kuwaitischer Lobbyisten, der Citizens for a Free Kuwait, sollte 1990 der US-amerikanische Kongress für eine Zustimmung zum Krieg gegen den Irak manipuliert werden. Das geschah durch die fingierte Aussage der kuwaitischen Krankenschwester Nayirah vor dem Ausschuss für Menschenrechte des US-amerikanischen Kongresses. Die junge Frau sagte aus, dass irakische Soldaten kuwaitische Babys aus den Brutkästen rissen und auf dem Boden sterben ließen, um die Brutkästen für den Abtransport in den Irak zu demontieren.[11]
Im Nachhinein stellte sich nicht nur diese Aussage als falsch heraus, sondern die angebliche Krankenschwester entpuppte sich als Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA (Stauber/Rampton 1995: 169–76). Ähnlich den Taktiken der Kommunikationsguerilla erfolgte diese Manipulation durch eine Lüge und die Übertreibung der durch irakische Invasoren begangenen Grausamkeiten. Die Präsentation von Lüge und Übertreibung gelang so glaubwürdig, dass sie die Bereitschaft des Kongresses für den Krieg zu stimmen mobilisierte. Ausschlaggebend war außerdem der Informationsvorsprung, den die Urheber der Lüge bis zur Entdeckung der tatsächlichen Fakten hatten. Dadurch konstruierten sie kurzfristig eine Realität, die den unmittelbaren Einmarsch der USA in den Irak notwendig erscheinen ließ. [12]
Subversiv ist hier die erfolgreiche Manipulation der Abgeordneten, deren Einschätzung der Sicherheitslage nicht auf verifizierbaren Informationen beruhte, sondern einzig auf der subjektiv glaubwürdigen Falschaussage. Zum Einsatz kamen jedoch Strategien und Methoden, die in der enthusiastischen Literatur zum Medienaktivismus von der autonomen a.f.r.i.k.a. Gruppe bis über Mark Dery, Kalle Lasn und Eveline Lubbers als selbstverständliches Repertoire der Hegemoniekritik beschrieben werden. Ihre Anwendung im politischen Lobbyismus stellt jedoch viel dringender die Frage nach der Manipulation der Öffentlichkeit. Der oben erwähnte Nike-Platz lässt sich bestenfalls als Täuschung oder als Fake beschreiben. Der tatsächliche Sachverhalt einer Kunstaktion oder auch einer aufklärerischen Kampagne sind schnell erschlossen und werden von keinem Beteiligten geleugnet. Im Falle von Hill & Knowlton wird bewusst eine falsche Wirklichkeit konstruiert, die geopolitische Realität nach sich zieht.
Hier zeigt sich auch der Unterschied der Subversion zur Provokation. Während die Provokation ihren tabubrechenden Charakter exponiert, versteckt die subversive Strategie ihr unterminierendes Potenzial.
Während die Provokation die Debatte herausfordert, unterläuft die Subversion diese. Subversion will nicht als solche erkannt werden, während die Provokation grundsätzlich als solche erkannt werden muss, um wirken zu können. Subversiv an der professionellen Produktion wahrer Ereignisse in der Irak-Kampagne ist das manipulative Potenzial der emotionalisierenden falschen Tatsachen. Dadurch wurde letztendlich die Debatte verhindert und Entscheidungsträger unter Ausschluss der demokratischen Meinungsbildung zu Handlungen gedrängt.
Die Provokation kann Teil einer subversiven Strategie sein, sowie auch die Provokation subversiv wirken kann. Im Falle des Nike-Platz sollte die Empörung über die angebliche Umbenennung des Wiener Karlsplatzes eine Debatte über die tatsächlich stattfindende Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes auslösen. Das provozierende Moment war Teil einer kulturellen Grammatik, die den Fake als legitimes Mittel betrachtet, um die politische Realität in Frage zu stellen. Die Auflösung des Fake als Fake ist ein fester Bestandteil dieses Prozesses. Im Falle von Hill & Knowlton hätte die Aufdeckung der Lüge eine kontra-produktive Wirkung für die Ziele der Public-Relations-Agentur nach sich ziehen müssen.
Gesellschaftlich problematisch ist, dass selbst nach bekannt werden des Betruges, weder das Image des Betrügers Schaden nimmt noch irgendwelche Konsequenzen zu befürchten sind.
In der Werbung wird unter dem Stichwort ›Viral Marketing‹ das Internet als gefälliger Distributionskanal verwendet. Ziel ist es, Botschaften zu kreieren, die dermaßen Aufmerksamkeit provozieren, dass sie von den Usern im Schneeballsystem verbreitet werden. 2003 kursierten Fake Puma-Werbungen im Internet, auf denen ein Mädchen vor einem Jungen kniet, so dass Oralsex assoziiert wird.[13]
Das Unternehmen distanzierte sich von den Motiven, deren Herkunft Peter Kim, der damalige International Marketing Manager bei Puma so erklärt:
»What really happened – a small Eastern European agency affiliated with Saatchi & Saatchi created the ads on spec, trying to win business with a PUMA subsidiary. They got nothing and emailed the ads to friends; from that point it snowballed. As you can guess, when the PUMA powers […] decided to get all corporate on the blogosphere, the whole thing exploded. […] Online store sales were up like CRAZY for a couple of weeks. Too bad we didn’t even have the shoes in the ads in stock!« [14]
Ähnliches ist im Falle einer Werbekampagne des Volkswagenkonzerns zu beobachten: Die Polo, small but tough-Kampagne wurde 2005 durch einen im Internet kursierenden Videoclip erweitert. In dem professionell produzierten Werbefilm fährt ein Selbstmordattentäter in einem Polo vor ein Kaffeehaus. Er zündet seinen Sprengsatz im Auto und tötet sich selbst, der Polo jedoch bleibt unbeschädigt: »Polo, small but tough«. Auch hier distanziert sich das Unternehmen und kündigt rechtliche Schritte gegen die Urheber des Videos an. Bis heute konnte das Unternehmen die angeblich Verantwortlichen ›Lee‹ und ›Dan‹ offenbar nicht identifizieren und so bleiben die Urheber eines Films, der von Millionen Menschen gesehen wurde und auch heute noch im Internet abgerufen werden kann, unbekannt. [15]
Obwohl beide Unternehmen den Verdacht von sich weisen, an diesen Produktionen beteiligt zu sein und dies durch die Ankündigung juristischer Maßnahmen unterstreichen, wird diese ›nicht offizielle‹
Werbung natürlich mit der Marke identifiziert. Trotzt Dementi und der Ankündigung rechtlicher Schritte gegen die unbekannten Urheber, können Marken von der Aufmerksamkeit, die durch Motive erregt wird, die nicht der expliziten Unternehmenskommunikation entsprechen, profitieren. Die Ästhetik der Fake-Werbungen erinnert an die ›Spoof Ads‹ von Adbusters.org, die laut Kalle Lasn als aufklärerische Dekonstruktion der Werbebotschaft zu begreifen sind (Lasn 2000). [16] Für die Werbeindustrie scheinen sie jedoch inspirierendes Material im Kampf um Aufmerksamkeit zu sein.
Es ließen sich für jeden der genannten Bereiche noch zahlreiche weitere Beispiele anführen. Die genannten sollten aber bereits ausreichen, um zu erkennen, dass die Strategien des Subversiven nicht allein im Bereich der Netzkunst oder dem Medienaktivismus angewandt werden, sondern genauso effektvoll in Werbung und Politik eingesetzt werden. Gleichzeitig ist zu erkennen, wie eng das Subversive im Bereich der Medien mit Aufmerksamkeit verknüpft ist. Ohne die Erregung von Aufmerksamkeit funktioniert die subversive Strategie nicht, die selbst nicht als solche erkannt werden soll. Aufmerksamkeit wird als Währung der Informationsgesellschaft bezeichnet (Franck 1998). In einer Gesellschaft, in der jeder einzelne Bürger täglich mit über 3000 Werbebotschaften konfrontiert wird und in der zahlreiche Medien, wie Zeitungen, Fernsehsender, Webseiten, Spielkonsolen, MP3 Spieler usw. um die begrenzte Zeit und das Budget der Konsumenten ringen, wird Aufmerksamkeit zum zentralen Faktor. Auch in der Politik verpufft die bestgemeinte Agenda wirkungslos, wenn es den Politikern nicht gelingt, ihr die notwendige Öffentlichkeit zu verschaffen.
Die Anwendung subversiver Strategien dient dann in erster Linie der Erregung von Aufmerksamkeit und dem ›Agenda Setting‹. Wer die subversiven Strategien beherrscht, wird zweifelsohne erfolgreich senden. Es mutet seltsam an, dass diese Fähigkeit bei der traditionell medien- und technikskeptischen
Linken vermutet wird und der Begriff der Subversion mit Gegenkultur und Aktionismus assoziiert wird. Diese üblichen Verdächtigen lenken davon ab, dass die Kunst der subversiven Kommunikation bei den Spezialisten der Medien- und Informationsgesellschaft zu lokalisieren ist: In der Werbung, der Public Relation, dem Lobbying und der Politik, oder um es mit einem Zitat von McLuhan zu formulieren:
»Ours is the first age, in which many thousands of the best trained individual minds have made it a full time business to get inside the collective public mind. To get inside in order to manipulate, exploit, control is the object now.« (McLuhan 1951: V)
Das Subversive ist keineswegs exklusiv im Baukasten für Medienstrategien von Künstlern und Dissidenten zu finden, sondern ist praktisches Werkzeug all jener, deren Aufgabe es ist, in der Informationsgesellschaft Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit für ihre jeweiligen Botschaften herzustellen. Dadurch verliert das Subversive seine Konnotation mit Gesellschaftskritik und Rebellentum und ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit der Medienpraxis. Der Begriff des Subversiven muss hinsichtlich dieser Realität in Frage gestellt werden.
Subversive Strategien sind ambivalent und werden von Kommunikationsspezialisten
jeglicher Profession erfolgreich eingesetzt. Die Strategie selber ist kein Geheimnis, oft wird die angewandte Kommunikationstechnik sichtbar und lässt sich retrospektiv analysieren. Eine erfolgreich angewandte Strategie geht somit ins allgemein zugängliche Arsenal der kommunikativen Möglichkeiten ein und wird Teil der kulturellen Grammatik. Toscanis Strategie, das Produkt aus der Werbung zu entfernen, ist aufgrund des Werbeverbotes zum selbstverständlichen Programm für Zigarettenhersteller geworden. Ihnen gelingt es durch Kulturleistungen wie Konzerte, Plattenlabels, Partys und Sponsoring kulturelles Kapital zu inszenieren, das mit dem unsichtbaren Produkt des Unternehmens in Verbindung gebracht wird. Das Unternehmen Diesel absorbiert Toscanis Plakatieren gesellschaftlicher Debatten in einer abgeschwächten, leicht verdaulichen Form. Die New-Markets-Kampagne zeigt Motive, die mit der Realität kommunistischer Länder, China oder Nord Korea, assoziiert werden. Die Lebenssituation der dortigen Bevölkerung wird im deutlichen Kontrast zu den beworbenen Produkten der Firma Diesel dargestellt. Die Produkte stehen gleichzeitig für einen anderen Gesellschaftsentwurf, für die Freiheit des Individuums im Kapitalismus. Ein Motiv zeigt einen Mann mit einem kleinen Jungen, die offensichtlich in Armut leben und unter einer hochgehaltenen Zeitung Schutz vor dem Regenwetter suchen. An der Mauer über ihnen hängt ein Dieselplakat mit der Aufschrift »Escape Now«.
Auch der von Public Netbase als gesellschaftskritische Intervention präsentierte Nike-Platz von One Dot Zero unterminierte den Konzern oder seine Marketingstrategien keineswegs. Während Nike USA anfangs noch versuchte, die Urheber rechtlich zu belangen, setzte sich, nachdem das Verfahren wegen eines Formfehlers eingestellt wurde, die Erkenntnis durch, dass ein solches Projekt der Marke Nike keinen Schaden zufügen kann. Nike Italien stand dem Projekt angeblich bereits in der Planungsphase positiv gegenüber.
Die Technik mit einer Falschmeldung oder einem Hoax Auf-merksamkeit zu erregen, wird 2003 erfolgreich durch den Game-Hersteller Sega angewandt. Die preisgekrönte Werbekampagne trat als aktivistische Informationskampagne gegen Sega auf und klärte über angebliche gravierende psychische Schäden auf, die Beta-Tester durch das Spielen eines neuen Computerspiels erlitten hätten. Stilistisch orientierten sich die Macher der Kampagne an den kritischen Seiten der Blogosphere.[17]
Mit Fake-Dokumenten, -Videos und zahlreichen Postings wurde der spannende Krimi um Beta 7 inszeniert, einem Beta-Tester, der untertauchen musste, weil er die Öffentlichkeit vor dem neuen Sega Game warnen wollte. Die Webseite klärt über die angeblich gefährlichen, psychischen Folgen des Spiels auf und beschreibt die brutalen Methoden von Sega, diese ›Wahrheit‹ zu vertuschen. Konsequent wird der Leser aufgefordert Protestschreiben an Sega zu senden. Eine Kampagne gegen ein Unternehmen entpuppt sich im Nachhinein als Medien-Hack des Unternehmens selbst, die Marke nahm durch die angeblichen Vorwürfe keinerlei Schaden. Versteht man die subversiven Strategien des Media-Hacking als einen Angriff auf ein System, so sollte davon ausgegangen werden, dass das System durch jeden dieser Angriffe dazu lernt und sich in der Auseinandersetzung verbessert. Der amerikanische Architekt und Medientheoretiker Richard Coyne erläutert das interdependente Verhältnis von Konstruktion und Dekonstruktion am Beispiel von Computerviren:
»The potency of this play between construction and deconstruction is exemplified in the computer world through the perpetration of computer ›viruses‹, a subversive movement within computer programming that is not entirely destructive. The constructive/destructive game of the computer hacker places security, robustness, and automated agency on the agenda. As part of an industry of moves and countermoves, it informs the development of operating systems, networks, and programming practices.« (Coyne 2005: 58)
Ähnliches ließe sich für die Strategien des Medien-Hacking oder die Methoden der Kommunikationsguerilla feststellen. Die Verwendung subversiver Strategien etabliert diese als allgemein zugängliches Wissen. Subversive Strategien finden sich daher nicht nur in der Hegemoniekritik oder der künstlerischen Avantgarde, sondern selbstverständlich auch im Produktionsapparat der Kulturindustrie und dem herrschenden Diskurs. Die Techniken des Medien-Hacking, die von den Yes Men, von Ubermorgen.com und eToy verwendet wurden, zeigen den ›angegriffenen‹ Unternehmen und Institutionen Schwachstellen ihrer Kommunikation und Medienpraxis auf, die anschließend repariert werden können.
Der stabilisierende Effekt subversiver Kommunikationsstrategien zieht einen eskalierenden Effekt nach sich. Strategien, die einmal konfiguriert und erfolgreich angewandt, analysiert und nachgeahmt oder konfrontiert werden können, erfordern neue und wirkungsvollere Methoden. Ähnlich dem Wettrüsten zwischen Viren-Programmierern und der Antivirensoftware-Industrie entwerfen die Kommunikationsspezialisten neue und bessere Anwendungskonfigurationen ihrer subversiven Strategien. Diese Entwicklung lässt sich auch an den zwei Aktionen Vote-Auction (2000) und SellTheVote (2004) von Ubermorgen.com aufzeigen. [18] Sie thematisierten das problematische Verhältnis zwischen Kapitalismus und repräsentativer Demokratie. Dazu wurde das bestehende System überinterpretiert und vorgeschlagen, Kapitalismus und Demokratie zu vereinen. Vote-Auction war letztendlich nicht mehr als eine Webseite die behauptete, man könne die Stimmen der Wahlberechtigten versteigern.
Unter dem Slogan »Bringing capitalism and democracy closer together« sollten Wahlstimmen meistbietend versteigert werden. Die amerikanische Wahlbehörde unternahm rechtliche Schritte gegen Vote-Auction und setzte die jeweiligen Firmen, bei denen die verschiedenen Domain-Namen der Webseiten der Auktionsplattform registriert wahren unter Druck, die Seiten abzuschalten. Mit SellTheVote.com (2004), wurde vier Jahre nach Vote-Auction die Aktion von der intellektuellen Dekonstruktion zur tatsächlichen Handlung. Ubermorgen.com verkaufte nun illegalerweise die Briefwahlunterlagen von US-amerikanischen Wahlberechtigten an jene, die von der Wahl ausgeschlossen waren (sowohl Personen aus den USA als auch dem Ausland), um erneut den Demokratieanspruch zu überhöhen und den US-amerikanischen Präsidenten zum legitimen Präsidenten des Planeten zu küren. Wie schon bei Vote-Auction provozierte Ubermorgen.com durch diese Aktion eine Flut von Anklagen und sah sich temporär mit dem geballten Handlungspotenzial des Justizsystems konfrontiert. Letztlich wurden die Verfahren eingestellt, wie auch die Debatten um die Kritik an der repräsentativen Demokratie abebbten. Ubermorgen.com erkannte, dass in einem erneuten Angriff auf die Widersprüchlichkeit des politischen Systems andere Strategien notwendig sein werden, da die bisher angewandten Teil der Kommunikationsroutinen des Systems geworden sind. So können subversive Strategien zu einer Eskalation führen. Gleichzeitig entwickeln sich aber auch die Systeme jener weiter, gegen die eine ursprüngliche Subversion gerichtet war. Zuvor angewandte Strategien werden erkannt und abgewehrt, oder können sich als ineffizient herausstellen.
Neben der Ambivalenz der Anwendung subversiver Strategien erweist sich auch die Rezeption als heterogen. Aktionen wie Vote-Auction oder SellTheVote.com können als Angriff auf das amerikanische Wahlrecht begriffen werden. Auf einer weiteren Ebene lassen sie sich jedoch als Kritik an der repräsentativen Demokratie lesen und könnten zur kritischen Reflexion beitragen. Während die erste Lesart die Konstruktion von Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit der Medien provoziert, zielt die zweite Lesart auf einen längerfristigen Prozess. Die erste Lesart ist medial verwertbar, während die zweite erst in der gesellschaftskritischen Debatte entfaltet wird. Ein anderes Beispiel für subversive Langzeitwirkung wären die rechtsradikalen Parteien in Deutschland, die in den 1980er Jahren bereits begonnen haben, Asylsuchende mit Wirtschaftsflüchtlingen gleichzusetzen. Damals begegnete ihnen die Empörung des Establishments, das heute zum Großteil die Terminologie übernommen hat und eine Politik der Kriminalisierung der Flüchtlinge betreibt. Insofern stellen die rechtsradikalen Parteien in Österreich und in Deutschland die politische Avantgarde, deren ausländerfeindliche Konzepte teilweise in die Politik der etablierten Parteien inkorporiert werden. [19]
Das Subversive hat offensichtlich viele Gesichter. Die Konnotation mit Kulturkritik, künstlerischen Avantgarden und politischem Aktionismus ist für die Dekonstruktion des Subversiven in unserer Mediengesellschaft nicht hilfreich. Es wurde gezeigt, dass die subversiven Strategien, die der medialen Praxis in Kunst und Aktionismus zugeschrieben werden, auch in Politik und Werbung angewandt werden, um Aufmerksamkeit für Themen und Botschaften zu erregen. Das Subversive dient hier lediglich als eine Technik der Kommunikation, des Transportes von Botschaften von Sendern zu Empfängern. Die Botschaft selber ist austauschbar. Mit der Entwicklung subversiver Strategien zur Kommunikation von Inhalten wird das kulturelle Reservoir dieser Praktiken erweitert. Das Subversive ist also nicht bei jenen zu lokalisieren, die mit dem Subversiven assoziiert werden, sondern bei all jenen, die subversive Strategien anwenden. Die Ästhetik und die Kommunikationsstrategien des ›Hacktivismus‹, der ›Culture Jammers‹ oder der ›Kommunikationsguerilla‹ haben sich als wenig resistent gezeigt gegenüber der Inkorporation in die Kulturindustrie. Anstatt die Zeichen zu entstellen, wie Barthes es noch forderte, muss die Subversivität von Kommunikationsstrategien selbst entstellt werden, um sie so wirkungslos werden zu lassen.
[1] Zur Ambivalenz des Subversionsbegriffs in seiner Begriffsgeschichte siehe auch Doll in diesem Band.
[2] In diesem Beitrag reflektieren ein Medienwissenschaftler (Schäfer) und ein Medienkünstler (Bernhard) den Begriff des Subversiven und verweisen dabei auf die Erfahrungen, die der Medienkünstler Bernhard mit seiner Künstlergruppe Ubermorgen.com und ihren Aktionen Vote-Auction und SellTheVote machte, sowie auf die Aktion Toywar der Künstlergruppe etoy, mit der Bernhard assoziiert war.
[3] Das Handbuch der Kommunikationsguerilla, das 1997 in Deutschland unter den Pseudonymen autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blisset und Sonja Bünzels herausgegeben wurde, ist Bastelanleitung und Theoriebaukasten in einem: »Das Konzept Kommunikationsguerilla ist ein Mix aus Ideologiekritik und einer handlungstheoretisch orientierten Theorie der Medienaneignung, deren Referenzpunkte die Arbeiten von Eco und de Certeau sowie implizit die Thesen der Cultural Studies zur kreativen und eigensinnigen Medienrezeption sind.« (Kleiner 2005: 358)
[4] Siehe www.rtmark.com/ (letzter Zugriff am 15.4.2007)
[5] Siehe www.rtmark.com/legacy/blo.html (letzter Zugriff am 15.4.2007)
[6] Hans Bernhard, Co-Autor dieses Artikels war an operativen Tätigkeiten im ›Toywar‹ selber nicht beteiligt. Er war ab 1999 in etoy.CORPORATION nicht mehr aktiv. In die Auseinandersetzung mit etoys war er in sofern involviert, als dass er in der Klage des Konzerns eToys gegen die Künstlergruppe etoy als Beklagter aufscheint, wodurch er auch das mit dem Prozess verbundene Mediendispositiv mitgestaltete.
[7] Am Toywar beteiligte sich auch die Plattform RTMark: www.rtmark.com/legacy/etoymain.html (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[8] Vgl. zu dieser Aktion der Künstlergruppe One Dot Zero auch die Mitschrift der Podiumsdisskusion u.a. mit Hans Bernhard am Ende dieses Bandes.
[9] Siehe die Selbstbeschreibung von One Dot Zero unter http:// 0100101110101101.org/index.html (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[10] Pressemitteilung von Public Netbase: Nike-Platz: Kunstintervention im urbanen Raum, 10.10.2003, online unter: www.t0.or.at/nikeground/pressreleases/de/002 (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[11] Ihre Aussage wurde von Hill & Knowlton gedruckt und als Videoband an Abgeordnete und Presse verteilt: »I volunteered at the al-Addan hospital. While I was there, I saw the Iraqi soldiers come into the hospital with guns, and go into the room where … babies were in incubators. They took the babies out of the incubators, took the incubators, and left the babies on the cold floor to die.« (Zit. nach Stauber/Rampton 1995: 173)
[12] Die Geschichte von den Brutkästen findet sich auch in dem amerikanischen
Spielfilm Live from Bagdad (Mick Jackson, HBO, USA 2002) wieder. Erst nach dem Abspann findet sich ein Hinweis, dass die Brutkasten-Geschichte nicht nachgewiesen werden konnte (»allegations were never substantiated«).
[13] Die Fake Werbungen finden sich unter anderem im Archiv des MemeFirst
Blogs: www.memefirst.com/puma.html?story=2003012 (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[14] Nachzulesen auf Peter Kims Weblog: www.beingpeterkim.com/2006/01/how_i_learned_t.html (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[15] Der Film und die Gerüchte um seine Urheber sind auf nachstehender Webseite zu finden: www.snopes.com/photos/advertisements/vwpolo.asp (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[16] Siehe www.adbusters.org. (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[17] Der Fake-Weblog findet sich unter: www.beta-7.com/blog/ (letzter Zugriff
am 15.04.2007)
[18] Vote-Auction und SellTheVote waren Aktionen von Ubermorgen.com, an denen Hans Bernhard, Co-autor dieses Beitrages in Konzeption und Ausführung maßgeblich beteiligt war, siehe www.vote-auction.net/ (letzter Zugriff am 15.04.2007)
[19] In Österreich wurden die Nationalisten durch die Koalition aus ÖVP und FPÖ 1999 selbst zum Establishment. Durch das 2006 verabschiedete Ausländergesetz, das auch mit den Stimmen der oppositionellen Sozialdemokraten beschlossen wurde, fand ihre Xenophobie die gesetzgeberische Legitimation.
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Date September 2007 Category Publications
with Hans Bernhard: Subversion ist Schnellbeton. Zur Ambivalenz des Subversiven in Medienproduktionen, in Thomas Ernst, Patricia Gozalbez Cantó, Sebastian Richter, Nadja Sennewald, Julia Tieke (eds),
SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: transcript, 2008, pp. 63-81 .